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«Ein Paradies – mit höllischen Temperaturen!»

Ein Paradies – mit höllischen Temperaturen!

Wer sich für eine Reise nach Ghana entscheidet, wird auf vielfältige Weise von seiner Zeit hier profitieren. Im Folgenden werde ich einige Aspekte, die mir besonders aufgefallen sind, vorstellen. Ein Praktikumsbericht soll vornehmlich einen Eindruck bestimmter Tätigkeiten vermitteln. Ich werde sicherlich auf meine Lehrtätigkeit an der Senior High School in Wamfie zu sprechen kommen, meine Intention hinter den Zeilen ist jedoch eine andere.

Da dieser Bericht hauptsächlich von potentiellen Praktikanten verschlungen wird, soll er erstens zu verdauen sein und zweitens auch noch schmecken. Dieser Text basiert auf den E-Mails, die ich regelmäßig an meine Freunde und Familie geschickt habe. Um dem Leser gerecht zu werden, habe ich sie überarbeitet. Man könnte sagen: entpersonalisiert. Wer ein Handbuch für seinen Aufenthalt in Ghana erwartet, wird enttäuscht werden. Vorbereitet wird man durch die Organisation. Ich möchte lediglich den Appetit anregen.

Jeder wird dieses Land durch seine Augen gewiss anders wahrnehmen. Wir haben schließlich alle unterschiedliche Sehstärken und manchmal reicht ein weiterer Blick, um eine Situation völlig neu zu bewerten. Bei dieser Erfahrung wünsche ich allen Ghana-Reisenden viel Vergnügen!

Homo homini amicus

Im Vorfeld machte ich mir Gedanken darüber, wie einen die Menschen vor Ort entgegen treten werden. Sind sie nett? Sind sie offen und interessiert? Oder haben sie negative Vorurteile und sehen einen als Fremden? Die Wahrheit war: Selten war ich derart schnell in Gespräche gekommen. Ich kam sofort im Land an und fühlte mich sehr schnell heimisch, unter gleichen. Die Ghanaer kannten keine große Distanz oder Scheu. Diese Eigenschaften ließen nie Barrieren aufkommen, sondern stellten augenblicklich Kontakt her. Ideal, wenn man mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kommen wollte!

Ich bemerkte ebenfalls schnell, was die Ghanaer von Weißen dachten. Zum einen war dies eine voreingenommene Wertschätzung, die sich vor allem auf unseren Wohlstand und technischen Entwicklungen gründete. Unsere Gesellschaft wurde dementsprechend als Vorbild hochstilisiert.

Gleichzeitig wurde einem als Deutscher vorgehalten, Schwarze in unserem Land zu diskriminieren. Wo immer ich also auftauchte, ich wurde aufgeschlossen, interessiert und begeistert begrüßt. Diese Herzlichkeit, so sagten mir viele, käme ihnen in meinem Land nicht entgegen. Sie waren meist selbst noch nie in Europa gewesen, hatten jedoch einen Onkel oder Bruder, der sich zu kühleren Temperaturen aufmachte. In Telefongesprächen mit ihren Verwandten wurde ihnen das dortige Leben beschrieben und sie äußerten mir gegenüber natürlich deren Erlebnisse.

Die vielen Fußballinteressierten relativierten jedoch deren Meinung hinsichtlich Schwarzen mit drei Argumenten: Odonkor. Asamoah. Owomoyela (drei ehemalige deutsche Nationalspieler, die auch für Ghana bzw. Nigeria hätten spielen können). Seit der Weltmeisterschaft werden sie denen gewiss noch Boateng hinzugefügt haben. Dieses Land war so fußballverrückt, dass sich der Smalltalk nicht ums Wetter drehte, sondern um den Fußball kreist.

Das höchste Gut in Ghana dürfte zweifelsohne die Gastfreundschaft sein. Wo immer ich zu Gast war, ich wurde fürstlich umsorgt. Jederzeit wurde mir ein Stuhl angeboten. Ob ich sitzen oder stehen wollte, war hierfür belanglos. Hauptsache für das Wohl des Gastes war gesorgt. Nur das Beste, das Edelste, das Teuerste wurde angeboten. Das ging sogar so weit, dass mir arme Familien Cola anboten. Sie selbst hatten meist noch nie welche getrunken. Zu teuer! Dankend ablehnen? Zwecklos! Ich konzentrierte mich oftmals darauf, zumindest die beigelegten Kekse verteilt zu bekommen, was schon schwierig genug war. Die Cola nachträglich bezahlen? Mission impossible. Daher bediente ich mich eines Tricks. Ich spielte über Bande. Wenn man reist, gehört es sich bei der Rückkehr, etwas für die anderen mitzubringen. Das fiel dementsprechend etwas üppiger aus. Und war legal. Sie dürften jetzt nicht widersprechen. Ich bediente mich ihrer eigenen moralischen Waffen.

Um noch ein weiteres gutes Wort über die Ghanaer zu verlieren: Sie verfügen über einen ausgesprochenen Gerechtigkeitssinn. Als Weißer werden einem oft überteuerte Preise angegeben. Es kam häufig vor, dass sich die Umstehenden für mich einsetzten und auf den Wucher hinwiesen. Da war sie also, die allgemeine Handlungsmaxime. Das unveränderliche Prinzip. Hautfarbe rechtfertigte keine Unterschiede. Darüber hinaus waren hier sehr viele ungemein hilfsbereit. Kannte ich mal den Weg nicht, so nahmen sie sich Zeit für mich und erklärten mir ausführlich den Weg oder brachten mich sogar zu diesem Ort, ohne eine Gegenleistung einzufordern. Sie verweigern einem nie ihre Hilfe.

An dieser Stelle noch eine kleine Anekdote. Als ich in Ghana ankam, wurde ich darauf hingewiesen, dass Heiratsanträge von Ghanaern an weiße Frauen Alltag seien. Ich ging davon aus, dass mich das nicht weiter berühren werde. Doch eine der ersten Fragen war oft, ob ich denn verheiratet wäre. Meine ehrliche Seele verneinte anfangs immer brav, so dass mir Kollegen an der Schule ihre Töchter, Cousinen oder Schwestern anboten. Was der Markt halt so hergab. Um meine ablehnende Haltung nicht jedes Mal in zähen Diskussionen rechtfertigen zu müssen, war ich zum Täuschen übergegangen. Ich mochte Diskussionen ja, aber nicht immer über dasselbe Thema! Nach einiger Zeit zückte ich bei dieser Frage nur noch meine Brieftasche. Eine alte mit einem Bild, das meinen Bruder auf meinem Schoss sitzend zeigte. Wir waren ungefähr drei und vier und gaben ein niedliches Bild ab. Ich stellte beide als meine Kinder vor. Das überzeugte scheinbar. Ich zweifelte allerdings daran, alles glaubhaft rüberzubringen. Da jedoch keine Heiratsangebote folgten, war der Sinn der Märchenstunde erfüllt. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann sind sie noch heute süß!

Ich tanze, also bin ich

Egal, wo ich hinschaute, die Leute waren immer am Tanzen. Das war einfach nur unglaublich. Ich glaube sogar, dass man in Ghana erst das Tanzen und anschließend das Laufen lernt, was ich an einem Baby in meiner Gastfamilie beobachten konnte. Der Rhythmus ist hier einfach im Blut. Und niemand konnte die Menschen aus der Ruhe bringen. Das schöne war, dass man keinen Anlass zum Tanzen brauchte. Ob man auf den Bus wartete, gerade mit jemandem sprach oder auf dem Weg zu Besorgungen war. Tanz!

Die absolute Steigerung allerdings bot der Gottesdienst. Er glich von der Stimmung einem Fußballstadion. Die Temperaturen glichen einer Sauna und die Euphorie der Party deines Lebens. Und das jeden Sonntag. Da der Gottesdienst nahezu ausschließlich in Twi stattfand, wurde mir jedes Mal ein Übersetzer neben gesetzt. Das war sehr freundlich, konnte ich sonst doch nichts verstehen. Ertönte jedoch die Musik, so war ich einer von ihnen. Der Rhythmus war international! Die ersten zwei Stunden eines Gottesdienstes (meist insgesamt um die vier Stunden) wurde nur getanzt. Dementsprechend war man durchgeschwitzt, aber glücklich. Tanzte ich die ersten beiden Male nur an meinem Platz, so traute ich mich während der großen Osterzusammenkunft doch, mitzutanzen. Mir wurde immer wieder bestätigt, dass mein Tanzen als Wertschätzung für den Gottesdienst verstanden worden wäre. Als ich also anfing, waren mir alle Blicke sicher. Sie jubelten, lachten und hatten ihren Spaß. Sie tanzten in einem Kreis. Die Bewegungen waren mir anfangs noch nicht alle vertraut, aber ich lernte von Mal zu Mal mehr. Ich glaube, diese Freude beim Tanzen war mitunter das schönste in Ghana. Die Leute lebten in diesem Augenblick. Voller Hingabe. Sie wurden mit der Musik eins und vergaßen alles um sich herum.

Weil ich es mir wert bin!

Wer glaubt, in Ghana gehe es in erster Linie ums Überleben, der hat sich getäuscht! Hier ist man weiter. Es geht ums Übertreffen. Wetteifern wir mit unseren Nachbarn, wer das größere Auto in der Garage hat, ist es hier das flachere Handy in der Hosentasche. Auf der Prioritätenliste ganz oben. Je moderner, desto besser. Aber gerade bei Frauen kommt noch eine weitere, wichtige Komponente hinzu: Beauty-Artikel. Am liebsten würde jede einen kleinen Douglas-Laden ihr Eigen nennen. Für den privaten Gebrauch, versteht sich. Teilen? Widerspräche dem Wettrüsten. Handcreme. Bodylotion. Kajal. Und und und. Das geht sogar so weit, dass man für ein Pflegeshampoo mal einen Tag hungert. Beauty is black. Und auch hier gilt der Grundsatz: Pflege von heute ist Aussehen von morgen.

 

 

Pippi Langstrumpfs Rechenkünste

Schon während der ersten Unterrichtstage bemerkte ich ein enormes Defizit in Mathe. Die Grundrechenarten waren den meisten nicht vertraut, was auch für das Kopfrechnen galt. Die Gründe dafür werde ich hier nicht aufführen, sondern lediglich die Konsequenzen. Als Tipp vorab: Man sollte immer sein Wechselgeld nachzählen. Nicht, weil dein Gegenüber dich zu betrügen versucht, sondern es nicht besser weiß.

Zudem fehlten einigen die Weitsicht sowie die Einsicht mathematischer Unumkehrbarkeit. Es ist schön und gut, wenn man im Augenblick lebt. Carpe diem, olé (oder: oh je) ! Am Ende des Tages seine gesamten Einnahmen auszugeben, ohne die Ausgaben abgezogen zu haben, die am nächsten Morgen anstehen, ist dagegen einfach nur dumm. Wer kann, leiht sich in solchen Fällen vorübergehend Geld bei Freunden. Ich kann jedoch von Personen erzählen, die durch das Auskosten des Tages ihre Existenzgrundlage verprasst haben und seitdem arbeitslos sind, da sie sich das Startkapital nicht mehr borgen können. Das ist unnötig, vorhersehbar und Eigenverschulden. Mathematik ist die Mündigkeit, sich seine eigene Zukunft auszurechnen, bevor sie Realität wird. Wer diese Zahlen ignoriert oder zu betrügen versucht, betrügt sich nur selbst seiner Chancen. Das Leben ist kein Ponyhof. Muss aber auch keine Wüste sein!

Mein kleines Guantanamo

Was gibt es Besseres, als mit der Zukunft eines Landes in Kontakt treten zu können? Es war eine unbeschreiblich beeindruckende, manchmal auch erschlagene Zeit. Durch das Unterrichten habe ich auf subtile, kuriose und erschreckende Weise Kultur kennen gelernt. Spannend war es, von den Träumen, Denk- und Sichtweisen der Jugendlichen zu erfahren. Manches davon ist von der Realität so weit entfernt wie der Mond von der Erde, aber den haben wir bekanntermaßen auch erreicht. Hoffen wir, dass sie mehr Träume haben als die Realität früher oder später zerstören wird. Mir haben die Schüler gezeigt, dass sie wollen, sehr oft aber einfach nicht können. Hier bleiben fortlaufend Potentiale ungenutzt und letztlich Biographien ungeschrieben.

Mir hat es viel Freude bereitet, die Schüler zu unterhalten, pardon!, zu unterrichten. Anfangs stand im Vordergrund, jegliche Angst aus dem Klassenzimmer zu vertreiben. Angst, zu versagen. Angst, geschlagen zu werden. Wer annimmt, das Klassenzimmer war eine einzige Bühne für mich: Volltreffer! Wer jedoch annimmt, die Schüler waren nur das Publikum oder gar Statisten, den muss ich enttäuschen. Sie waren die Hauptdarsteller, ich lediglich der Regisseur. Lernen oder nicht lernen, das war hier die Frage. Ich maße mir selbstbewusst an, dass sie bei mir etwas mitgenommen haben. Selbstwertgefühl, ein bisschen Cicero und wie eine Welt aussehen kann, in der man Respekt erfährt.

Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm!

In einer Welt, in der Google zu unserem Professor aufgestiegen ist, schien es mir nicht verkehrt, ein Update zu durchlaufen. Julian Kwaku 2.0. Als Kleinkind stellt man ständig Fragen. Warum ist das so? Papa, was ist das? Dieser Fragendrang nimmt im Laufe der Zeit allerdings ab. Allein schon deshalb, da man nicht mehr die Bedeutung jedes Wortes, jeder Handlung erfragen muss. Routine hat sie manifestiert und macht manchmal auch denkfaul. Ich fühlte mich in Ghana in einer neuen Welt. Vieles unbekannt. Vieles zu entdecken. Es lebe das Kind in dir! Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt stumm.

Im Gegensatz zu meinen ersten Lebensjahren konnte ich diesmal bereits sprechen, doch vieles verstand ich dennoch nicht. Ich sprach mit Studenten verschiedener Unis, mit Pastoren, mit Straßenfegern, mit Business-Typen, mit Taxifahrern. Immer dabei mein ständiger Begleiter: das große Fragezeichen. Es war eine einzige Fragestunde. Wer nun jedoch für einen Augenblick leise ist und aufmerksam lauscht, hört die Lautsprecher ertönen: „Achtung, Achtung, der kleine Kwaku möchte von seinen Eltern aus dem Kinderparadies abgeholt werden.“

Wenn ich meinen Aufenthalt auf eine kurze Form bringen müsste, und so wird es ja erwartet, dann möchte ich meine Eindrücke in den nachfolgenden vier Versen zusammenfassen.

Pro und contra

hin und her,

zu lieben Ghana

fällt nicht schwer.

 

Julian Kwaku

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